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Mauern - Buchrezension
Gute Nachrichten vom
Welchen Wert haben diese Mauern, die Menschen voneinander trennen, und was kann sie einstürzen? Unser Alltag wird durch die aktuelle Krise auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Für Frederick und Juliette bedeutet dies nichts Geringeres als ihre gesamte Existenz. Kein Einzelfall, den uns Kai Lüdders mit seinem Roman MAUERN auf eine besonders eindringliche und bedeutsame Weise ins Bewusstsein trägt.
Mich hat es mitgerissen und ich werde euch hier verraten, was es war. Dran bleiben!
Frederick und Juliette wohnen als junges Paar mit zwei kleinen Kindern in Hamburg. Beide arbeiten selbstständig, Juliette mit einer Agentur und Frederick baut sich gerade ein kleines Reiseunternehmen auf, spezialisiert auf Alternativ-Urlaube. Ende 2019 erreicht Frederick damit überraschend bereits den Break-Even und ist darüber überaus erfreut. Das junge Paar träumt von einem kleinen Haus am Rande der Stadt. Das kommende Jahr 2020 sollte das Beste werden, was sie bislang gemeinsam erlebt hatten. Doch es kam anders. Im März kam es zum ersten Lockdown. Umsatzeinbrüche, wieder neue Sorgen um die Zukunft wurden zum Alltag des Paares und die Kinderbetreuung in der Wohnung wurde zur Herausforderung.
Sehr klar aber auch einfühlsam schildert Kai Lüdders, wie sich das Leben der beiden zusehends verändert. Dabei gelingt es dem Autor einfach wunderbar, dass ich mich mit den Protagonisten identifiziere, mit ihnen leide, mich mit ihnen freue und sie spontan lieb gewinne, so als kenne ich sie schon lange. Frederick ist ein Mensch, der ehrgeizig ist und fleißig. Aus einer alten Niederlage trägt er noch Schuld mit sich herum und steht dadurch unter Druck. Juliette ist die starke Kraft an seiner Seite.
Immer mehr wird jedoch klar, dass selbst für dieses eingespielte Paar, die Belastungen der Krise mit der Zeit zur Zerreißprobe werden. Freundschaften zerbrechen und die besagten Mauern zwischen den Menschen kommen deutlich zum Vorschein.
Dieser Roman hat eine aktuelle Parallele in der Realität und ist deshalb für mich besonders. Es ist eine Handreichung und kann zu einer Tür in der Mauer werden. Denn In der Erzählung wird deutlich, wie sich Fronten in den Köpfen der Menschen formieren und zwar so schnell, dass wir noch nicht einmal die Zeit haben, in einen offenen Dialog zu kommen. An nur einem Abend zerbrechen Freundschaften. Ein paar harte Worte aus Unverständnis und ohne den Beweggrund des anderen zu kennen.
Die Angst vor dem Tod und der Verlust der puren Existenz stehen sich gegenüber
und keine dieser Bedrohung ist dabei geringer als die andere.
Frederick und Juliette geht es um die Existenz ihrer Lebensgrundlage, die sie sich alle Jahre hart erkämpft haben. Ihre Freunde können das nicht verstehen, und sind erschrocken darüber, dass ihnen das offensichtlich wichtiger zu sein scheint, als die Gesundheit der Menschen. Es folgen Unterstellungen und sogar wilde Beschimpfungen. Worte werden zu Schwertern. Aufgrund der aktuell existierenden Realität erübrigt sich sicherlich eine Erläuterung dazu und fast ein Jeder kann das bestätigen. Der Roman ermöglicht es den Leser jedoch aus einer anderen Perspektive auf die Ereignisse zu schauen mehr zu sehen, als aus der eigenen Sicht im Alltag. Wir erkennen: Einige Dinge sind eben nicht immer so, wie wir die Anderen sehen. Oft tun wir ihnen mit unserem Urteil einfach Unrecht. Meistens wissen wir nicht alles, können es auch gar nicht.
Ein falsches, unüberlegtes hartes Wort und die Mauer steht.
Zu welchem Preis?
Ich habe kaum ein Buch gelesen, dass mich so unmittelbar berührt hat, wie MAUERN.
Die menschlichen Schicksale gehen so nahe und es macht mich bewusster; es macht mich nachdenklich.
Suchen wir nicht alle das Selbe? Zufriedenheit und Glück?
Das Buch ist wie ein Dokument der Zeit zu verstehen und ich möchte nun eine sehr typische Szene aus dem Alltag zitieren:
Seite 162-163
Frederick / im Restaurant:
…. Komm, wir bestellen jetzt einfach die halbe Karte und vergiss nicht den Wein. Heute ist uns alles egal ….
Es waren für Juliette die ersten Momente seit einiger Zeit ohne schwere Gedanken…
ein Weinglas nach dem anderen wurde bestellt und später die brasilianische Musik aufgelegt.
Als sie wieder zuhause sind:
„Dann sah er die Kanzlerin auf dem Bildschirm und plötzlich war alles wieder da: Die Bilder, die Sorgen, die Angst und das Virus.“
Und ...
Seite 224
Juliette geht einkaufen mit Attest und geriet in Bedrängnis
„Fassungslos starrte sie dabei ins Leere, zitterte am ganzen Leib, war kreidebleich. Sie verstand nicht, was passiert war. Sie wollte doch nur für ihren Sohn ein paar Stifte und Hefte kaufen. Jetzt wurde ihr Klar: Es waren Mauern entstanden. Mauern im Kopf. Und Mauern im Herzen.
Auf den letzten 100 Seiten gewinnt die ohnehin temporeiche Erzählung noch einmal an Fahrt und es überschlagen sich die Ereignisse. Nun konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Nach einem Shut-Down folgt dann doch ein Happy End. Alles drin - großes Kino!
Eine absolute Leseempfehlung mit Bestseller-Qualitäten!
Wer noch so einen tollen „Lüdders“ lesen möchte, dem empfehle ich das Vorgänger-Buch „Mutwille“, dass ich ebenfalls besprechen durfte. Sicher sind das nicht die letzten Bücher des Autors, die ich mit Begeisterung lesen und besprechen werde. Wunderbare Schreibkunst, die Lesehunger macht.
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