Haltung - Ein Essay gegen das Lautsein - Buchrezension

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Gute Nachrichten vom

Die Welt, vor allem die politische Welt, erlebt in den letzten Jahren einen Umbruch, der für jemanden wie mich, die in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland die Schulbank gedrückt hat, wie ein böser Traum wirkt und immer wieder Kopfschütteln hervorruft. Wie konnte das passieren und wo führt das hin? Wenn auch die letzte Frage nicht mit Gewissheit beantwortet werden kann und auch sehr vom weiteren Umgang mit den Veränderungen abhängt, so zeigt Mely Kıyak in „Haltung“ wie die Weichen für diese Entwicklung gestellt wurden und was es heißt, Haltung zu leben, statt sich in lautstarkem Protest zu ergehen.

In ihrem Essay gegen das Lautsein schreibt Mely Kıyak über ihr Verständnis von Haltung in einer Zeit, in der in 27 Ländern Europas Rechtsextreme Parteien im Parlament sitzen und sogar 10 davon in Regierungsverantwortung.

Sie zeigt auf, dass das gesprochene oder geschriebene „Aufstehen!“, „Farbe bekennen!“, „Haltung zeigen!“ nicht mehr genügt. Und statt als Kollumnistin wie bisher 10 Jahre lang gegen die Grenzüberschreitungen von rechts anzuschreiben (Widerspruch ohne Konsequenz), ändert sie nun ihr Verhalten, aber nicht ihre Haltung: Sie reagiert nicht mehr auf jeden hingeworfenen Köder von rechter Provokation, der ihrer Ansicht nach durch das regelmäßig auftretende Medienecho noch geadelt wird. Stattdessen nutzt sie nun „Spott als Mittel der Auseinandersetzung“.

Sie fordert Ächtung von Rechtspopulisten auf breiter gesellschaftlicher Basis (z.B. keine Einladung zu TV-Debatten, Auflösung von Demonstrationen bei Regelverstoß) und sieht vor allem auch Parteien, Gewerkschaften, Institutionen und bestimmte gesellschaftliche Gruppen in der Pflicht, Widerstand durch Konsequenz zu leisten. Sie kritisiert das Verhalten der demokratischen Parteien, die mit dem Aufspringen auf die Züge mit den rechten Themen die Anliegen von rechts außen erst legitimiert haben.

Und sie erinnert uns vor allem an die Bedeutung von Demokratie – Sowohl Mehrheitsinteressen durchzusetzen und gleichzeitig die Interessen von Minderheiten zu schützen und zu wahren. Genau das ist nun durch den politischen Paradigmenwechsel in Gefahr. Mely Kıyak zeigt, wo der Fehler begann – mit unserer „Nie wieder“- Mentalität (Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg, Nie wieder …) schienen wir gefeit und hielten das Problem des Rechtsextremismus nicht für relevant oder meinten, dass sich das von selbst reguliert, doch „jedes großzügige Durchwinken von Diskriminierung oder Rassismus wirkt sich unmittelbar auf das Bewusstsein einer Gesellschaft aus“. Für Mely Kıyak sind die Rechtsextremen keine Oppositionspartei, „sondern Feinde der Demokratie, denn ihr Ziel ist die Abschaffung der Pluralität.“

Mely Kıyaks Essay ist eine scharfsinnige Analyse unseres derzeitigen gesellschaftlichen Zustandes, wo politische Debatten auch nicht mehr mit Rückgriff auf politische Theorien, vorhandenes Wissen oder Denkschulen geführt werden, sondern jeder zu allem seine Meinung kundtut. Und auch hier – im Vergessen von Erfahrung, Wissen und Geschichte – liegt für sie eine potentielle Ursache dafür, dass aus einem „Nie wieder“ ein „schon wieder“ werden könnte. Und doch bleibt sie auf ihre Art optimistisch, denn den Feinden der Demokratie stehen auch die vielen Menschen gegenüber, die sich für Frieden und universelle Menschenrechte einsetzen und sowohl im kleinen als auch im großen Rahmen Haltung zeigen.

Ein hoch aktuelles und sehr lesenswertes Buch, das mit seinen knapp 60 Seiten vielleicht schnell zu lesen ist, doch bleibt es gewiss nicht beim einmaligen Lesen, da es viele Gedanken mit Tiefgang zu unserer (deutschen) Gegenwart enthält und klar macht, dass es sich heute keiner mehr leisten kann, keine Haltung zu haben.

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